Das war... Reisen

Finnland 2020: Sauna als öffentlicher Raum

Ein Auszug aus unserer Raumexkursion nach Südfinnland vom 26. Juli bis 2. August 2020 von unserem Mitreisenden Costa

Das Grundprinzip sollte bekannt sein: Nackte Körper reihen sich schwitzend aneinander, ab und an erfolgt ein „Löyly“ (Aufguss), bevor die Saunierenden sich anschließend ins kalte Nass bewegen, um ihre Körper wieder abzukühlen. Je nach Empfinden und Lust beginnt die Prozedur danach von vorne.

Beginnen wir von vorn: Die Geschichte der Sauna reicht bis zu 2.000 Jahre zurück. Die ersten Saunagänger:innen waren demnach die Finno-Ugrier:innen, die aus Russland ins Gebiet des heutigen Finnlands einwanderten. Die Sauna war damals ein einfaches Zelt, in dem ein Feuer entzündet wurde. Im Feuer erhitzten sie Steine und sobald diese heiß genug waren, löschten sie das Feuer und schlossen die Öffnungen: Der Vorgänger der auch heute noch beliebten Rauchsauna war entstanden. Im Mittelalter wurden Öfen aus Gusseisen und Stein entwickelt, die erstmals auch rauch- und rußfreies Saunieren ermöglichten. In Finnland diente die Sauna früher wohl häufig auch als Ort für Geburten, da sie der sauberste Ort des ganzen Hofes war. Die Sauna ist allerdings nicht nur auf den privaten Haushalt beschränkt: öffentliche Saunen existieren genauso wie Saunen in Mehrfamilienhäusern, wo in der Regel eine gemeinsame Sauna geteilt wird. In Firmen zählt es zur Businessetikette, Geschäftspartner:innen in die Sauna einzuladen, bei der Armee gibt es ein Saunazelt und selbst im Parlament fehlt sie nicht. Der ehemalige finnische Präsident Urho Kekkonen führte gar politische Verhandlungen in der Sauna des Parlaments. Bekanntester Gesprächspartner war wohl Nikita Chruschtschow: mit dem damaligen Regierungschef der Sowjetunion soll Kekkonen eine ganze Nacht in der Sauna verbracht haben, um Finnland 1960 den Beitritt in die Europäische Freihandelsassoziation zu ermöglichen.

Öffentliche Saunen kämpfen ums Überleben

Heute gibt es in ganz Finnland in etwa eine Sauna pro zwei Einwohner:innen – bei einer Bevölkerungszahl von 5,5 Millionen immerhin über 2 Millionen Saunen! Allerdings kämpfen die öffentlichen Saunen seit vielen Jahren ums Überleben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in modernen Wohnkomplexen Waschhäuser eingeplant. Die Eintrittspreise waren so niedrig angesetzt, dass der Betrieb vieler öffentlichen Saunen nicht mehr rentabel war. Hinzu kam, dass der Staat vor allem den Bau und Erwerb von Eigenheimen unterstützte. Das öffentliche Saunen verloren also an Bedeutung und wurde später nur noch von den ärmeren Bevölkerungsschichten in Anspruch genommen. Die rasche Entwicklung Finnlands im 20. Jahrhundert von einer kollektiven, bäuerlichen Gesellschaft hin zur postindustriellen Moderne mit einem neoliberalen Verständnis von Individualität verstärkte diesen Trend. Vor einigen Jahren warnte die Finnische Sauna-Gesellschaft vor einem Niedergang der öffentlichen Saunakultur. Das war ein wichtiges Signal, um die Entwicklung umzukehren: Kreativ Engagierte und Aktivisten legten den Grundstein zur Rettung der öffentlichen Saunen. Heute gibt es in Helsinki knapp zehn öffentliche Saunen. Die Zahl kann kaum mit der aus der Vergangenheit mithalten; schließlich gab es wohl einst rund 120 öffentliche Saunen. Um nicht genutzte Saunen zu aktivieren wurde gar der „Helsinki Sauna Day“ ins Leben gerufen, um zum gemeinsamen Saunieren aufzurufen. Inzwischen erfreuen sich die öffentlichen Saunen wieder wachsender Beliebtheit.

Wir besuchten zwei öffentliche Saunen auf unserer Reise – die Kultuurisauna und die Sompasauna –beide voller Gäste. Was steckt hinter der Saunalust der Finn:innen? Das allgemeine Credo lautet: Saunieren beugt Erkältungen vor. Wie funktioniert das? Durch die hohen Temperaturen in der Sauna (i.d.R. um die 90 °C) steigt die Temperatur an der Hautoberfläche auf rund 40 °C. Die Hautporen öffnen sich. Im Körperinneren steigt die Temperatur um rund 1 °C, was dem Körper wie die Simulation eines leichten Fiebers vorkommt. Dadurch wird die Durchblutung gefördert, außerdem versetzt die Wärme das Immunsystem in Alarmbereitschaft: bestimmte Abwehrzellen sind dadurch in höherer Zahl vorhanden. Die Abwechslung von Hitze und Kälte sorgt für eine Stärkung von Muskulatur und Kreislauf. Zu den traditionellen Methoden gehört auch das Schlagen mit Birkenzweigen, um die Durchblutung zusätzlich anzuregen. Strenge Zeitvorgaben – wie häufig in Deutschland – wie lange ein Saunagang dauern sollte, existieren in Finnland nicht. Saunierende entscheiden selber, wie lange sie in der Sauna bleiben möchten und wie oft sie wieder hineingehen. Die Regel: Es gibt keine Regel – höchstens, dass das Saunabier für viele dazugehört. Das war auch mir neu. Vier Wochen nach unserer Exkursion war ich im Urlaub saunieren und habe mir mein neu erlangtes Wissen zu Bier in der Sauna direkt zunutze gemacht – sehr zur Verwunderung der anderen Saunagänger:innen, worauf sich direkt ein Gespräch ergab.

Raum für gleichberechtigte und soziale Interaktion

Das ist der eigentliche Grund, warum ich diesen Text schreibe: Auf unserer Reise habe ich eine andere Art der sozialen Interaktion in der finnischen Sauna wahrgenommen. In Deutschland fühlt es sich so an, dass jede:r Saunabesucher:in am liebsten für sich wäre. Meist herrscht eine stille Atmosphäre mit einem Hang hin zu peinlicher Berührtheit – Gespräche kommen selten zustande, wenn überhaupt, dann unter Freund:innen. Anders in Finnland: Die Menschen gehen gesprächsoffen in die Sauna, es wird diskutiert und sich unterhalten. Auch ich bin mit mehreren Leuten ins Gespräch gekommen, die ich nie zuvor gesehen habe und die ich nie wieder sehen werde. Es waren jedoch unfassbar angenehme und vertraute Gespräche, die sonst wohl nie zustande gekommen wären.

Beim Recherchieren bin ich auf einige Artikel gestoßen, die sich als eine Art Knigge für Finnland ausgegeben haben. In der Sauna soll nicht über Arbeit, Einkommen oder Besitz geredet werden. Vor allem soll nicht gestritten werden! Ich habe die öffentliche Sauna in Finnland zusätzlich als eine Erweiterung des öffentlichen Raums wahrgenommen. Und zwar nicht, wie es in einem Park oder auf einem Marktplatz geschieht, sondern viel intimer und vor allem viel gleichberechtigter. Durch den engen Raum ist es gar nicht möglich den anderen auszuweichen. Ganz nackt bin ich gänzlich entblößt – aber alle anderen eben auch. Das macht die Sauna zu einem Raum der Emanzipation, losgelöst von gesellschaftlichen Zwängen. Die finnische Designerin Päivi Tahkokallio äußerte im Gespräch mit Deutschlandfunk: „In der Sauna sind eben alle gleich, da sitzt kein Politiker wie Kekkonen oben und die anderen unten … Alle sind nackt. Da ist man, was man ist. Wenn man aus einer hierarchischen Kultur kommt, findet man das bestimmt nicht so toll. Vielleicht ist die finnische Gesellschaft so gleichwertig, weil immer alle zusammen in der Sauna waren?“

Ein letzter Aspekt: Die Sauna ist nicht nur Sauna. Sie ist ein Raum des Zusammenkommens, der Kommunikation, und häufig auch kultureller Angebote. Am Morgen unserer Abreise besuchten wir die Kulttuurisauna, welche die Künstlerin Nene Tsuboi und Architekt Tuomas Toivonen 2013 bauten und bis heute betreiben. Geöffnet ist sie nur morgens bis zum frühen Nachmittag. Es gibt vorgegebene Verhaltensregeln für den Saunagang. Für nach oder zwischen dem Saunieren bietet Tuomas Tee, Kaffee und Porridge zum Frühstück an. Abends finden in einem Nebenraum oft kulturelle Veranstaltungen statt. Architekt:innen und Ingenieur:innen treffen sich zu Diskursen und Gesprächen. Damit steht die Kulttuurisauna nicht allein da. Auch in der Arla-Sauna in Kallio, einem ehemaligen Arbeiterviertel, finden Kulturveranstaltungen und Diskussionen zwischen Architekt:innen, Designer:innen und Studierenden statt. Die Architekt:innen der Löyly-Sauna, Anu Puustinen und Ville Harra von Avanto Architects, prognostizieren für die öffentliche Sauna in Zukunft wieder einen höheren gesellschaftlichen (gar internationalen) Stellenwert: „Finnische Saunen werden interessanter werden, an internationaler Popularität gewinnen und für ihre heilsamen Eigenschaften ebenso beliebt sein wie als luxuriöser Ort der Reinigung. Heute gilt Saunieren als Form des sozialen Beisammenseins, deshalb gehen wir davon aus, dass es mehr öffentlich-städtische Saunaanstalten wie Löyly geben wird.“ Die Sauna ist in Finnland also nicht der eindimensional aufs Schwitzen ausgelegte Raum, sondern übernimmt eine gesellschaftliche, soziale Funktion, die von den Nutzern gerne beansprucht und ausgelebt wird. Sie ist öffentlicher Raum.


Bildnachweis: Clemens und Costa