Das war... Reisen

Lausitz 2018: Zwischen Heimatverlust und Kohlestolz

Bericht der Reise in die Lausitz, 21. bis 24. Juni 2018

Vier Tage lang erkundeten wir die Lausitz: Eine Region, die sich in den letzten Jahrzehnten so intensiv verändert hat, wie kaum eine andere in Deutschland – und der derzeit erneut ein tiefgreifender Strukturwandel bevorsteht. Im Fokus stand, wie sehr die Braunkohle das Leben der Menschen vor Ort aber auch die Umwelt beeinflusst hat oder aktuell noch tut. Dabei haben wir im Seengebiet rund um Hoyerswerda nicht nur kontrastreiche Orte besucht, sondern auch kontroverse Perspektiven auf unsere Fragen kennengelernt.

Diese erste Reise haben wir vereinsintern durchgeführt, um uns einerseits gegenseitig besser kennenzulernen und andererseits, um das Veranstalten von Reisen für Andere zu erproben. Eine Wiederholung ist geplant!

Den Auftakt machte ein Besuch im modernsten Braunkohlekraftwerk Europas, dem Werk von Schwarze Pumpe, um die Sicht der Kohlebefürworter*innen nachvollziehen zu können. An der Industrie rund um die Förderung und Verarbeitung der Braunkohle hängen immerhin, je nachdem welchen Zahlen man glauben möchte, 18.000 bis 25.000 Arbeitsplätze. Ein Besuch in einem Tagebau diente dazu zu verstehen, welche tatsächlichen Ausmaße die Braunkohleförderung für die Umwelt bedeuten.

Wir begaben uns mit einer Mitarbeiterin der LEAG, dem Unternehmen, das die Kohle fördert, auf eine Tour zum Tagebau Welzow: ein beeindruckendes Nebeneinander von wüsten Mondlandschaften und friedlichen ‘Tagebaufolgelandschaften’, die heute testweise mit Weinreben bewirtschaftet werden. Wo in der Vergangenheit Fehler beim Versuch der Renaturierung eingeräumt wurden, was sich z.B. in einem pH-Wert des Bodens zwischen 2 und 3 äußerte, wurde uns beteuert, dass man heute alles im Griff habe.

Weinreben auf den renaturierten Flächen des Tagebau Welzow

Nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt liegt Haidemühl, ein bereits verlassenes Dorf an der Tagebaukante. An diesem unwirklichen Ort lässt sich erahnen, welche Folgen der Tagebau für die Menschen haben kann, von denen auch in den renaturierten Gebieten jede Spur fehlt. Im nahegelegenen Dorf Proschim kämpfen die Menschen weiterhin gegen die Abbaggerung ihrer Heimat und werden im Ungewissen gelassen, wann und ob es passiert. Das sächsische Dorf Mühlrose soll trotz des absehbaren Kohleausstiegs im Jahr 2038 abgebaggert werden. Mit dieser noch frischen Entscheidung enden für die Bewohner*innen 15 Jahre der Ungewissheit.

Mit Neu-Haidemühl und Forst lernten wir die exakten Gegenstücke dazu kennen: Hierhin wurden die Bewohner*innen der abgebaggerten Orte von langer Hand geplant umgesiedelt. Ein paar Dutzend Kilometer weiter soll das Leben möglichst nahtlos weitergehen. Diese Hoffnung lässt sich von der Architektur und der Ortsplanung überdeutlich ablesen: Nichts weist auf den Bruch hin, den die Umsiedlung im Leben der Menschen und der Ortsgemeinschaften darstellt. Genau damit beschäftigt sich deshalb das in Forst ansässige Archiv der Verschwunden Orte. Es gibt Einblicke in die Geschichte der Gemeinden und den unterschiedlichen Umgang mit den Umsiedlungen ganzer Dörfer.

Die größte Zahl der Ortsabbrüche und Umsiedlungen in der Lausitz fiel in die Zeit der DDR. Während heute der Versuch der sozialverträglichen Umsiedlung selbstverständlich ist, wurde zu Zeiten der DDR kein Ort verlegt oder wiedererrichtet. Vorherrschende Praxis war die Umsiedlung der Betroffenen in Plattenbauten. Dagegen bietet der Versuch von Orten wie Neu-Haidemühl, möglichst viel von ihrer verlorenen Vorbilder nachzubilden, fast schon etwas tröstendes.

Die Stadt Hoyerswerda, welche ab 1955 um große Neubaugebiete erweitert wurde, um Wohnraum für die Beschäftigten des Braunkohlekombinats Schwarze Pumpe zu schaffen, war ebenfalls ein Zwischenstopp auf unserer Reise. Die in “Hoywoy” ansässige Architektin Dorit Baumeister gab uns einen Überblick über die Stadtgeschichte und Einblicke in ihr Schaffen und Wirken: Neben einigen realisierten Neubauten begleitet sie vor allem den Rückbau der schrumpfenden Stadt. In Hoyerswerda lebten zu Hochzeiten einst 70.000 Einwohner*innen – heute sind es nur noch rund 32.000. Gemeinsam mit dem Verein “Kulturfabrik” machte Dorit Baumeister mit Kunstaktionen auf das Schrumpfungsthematik aufmerksam und versucht, Bürger*innen aktiv am Stadtumbau zu beteiligen.

Die letzte Etappe unserer Reise führte uns zu einigen Orten, die im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Fürst-Pückler-Land entstanden sind. Die IBA fand offiziell von 2000 bis 2010 statt und stellte das Thema “Landschaft” in den Mittelpunkt. Ihr ging es nicht um ein perfektes Renaturieren der Mondlandschaft der ehemaligen Braunkohletagebaue, sondern vielmehr um ein Respektieren der Geschichte des Ortes – und ein Entwickeln einer neuen Zukunft aus diesem Erbe heraus. 

Zu einem dieser Orte gehörte das Studierhaus in Großräschen, in welchem am Abend unseres Besuchs das Gundermann-Symposium anlässlich zum 20. Todestag des singenden Baggerfahrers aus Hoyerswerda stattfand. Der Musiker der im Alter von 43 Jahren überraschend starb, ist spätestens seit dem Film “Gundermann” aus dem Jahr 2018 in aller Munde. Und so fasste dieser letzte Abend die Eindrücke unserer Reise besser zusammen, als es uns selbst je möglich gewesen wäre: Inmitten einer noch jungen Landschaft, nur einen Katzensprung vom nächsten See entfernt, kamen hier Menschen zusammen, um sich gemeinsam über die neu-interpretierten Stücken des verstorbenen Arbeiterikons zu freuen.

Wir hoffen im Jahr 2021 eine Reise in die Lausitz anbieten zu können.